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Die versteckte Perle von Luzern

Aktualisiert: 16. Juli 2024

Es gibt nicht mehr viele Plätzchen in der Schweiz, in denen Exklusivität noch erschwinglich ist. Dies besonders nicht in einer Stadt, in welcher sich Gastrobetrieb an Gastrobetrieb aneinanderreiht wie Sand am Meer – oder eben, wie Miesmuscheln vor dem Abwasserrohr.
 
Unter diesem Überangebot an guten bis sehr guten Restaurants, scheint mir die Suche nach einer herausragenden, unbekannten Perle auf den ersten Blick doch schier unmöglich. Nun soll es diesmal aber für den Geburtstag meines Freundes etwas ganz Besonderes sein. Und so wage ich mich in das damals für mich noch unbekannte Gewässer...
 
Unzählige Male zuvor hatten wir unsere Nasen an der riesigen Glasfront dieses Gebäudes plattgedrückt. Ob da wohl wirklich ein Restaurant drin ist? Und auch wenn, dann hat das doch sicher die ganze Zeit geschlossen. Dunkel. Menschenleer. Da muss es doch einen Haken geben… oder etwa nicht?
 
So stehen wir nun also im Eingangsbereich. Links und rechts türmen sich die Weinflaschen und vor uns erstreckt sich ein scheinbar ewig langer Raum, überfüllt von – ja von was den eigentlich? – von nichts. Einfach nichts. Gähnende Leere starrt uns beide, von oben bis unten chic für den Abend aufgedonnert, mit einem schelmischen Grinsen an. Samstag Abend, 18:30 Uhr und weit und breit ist keine Menschenseele zu sehen. Ich bemühe mich mein Erstaunen zu unterdrücken und meine weit aufgerissenen Augen wieder auf Normalgrösse zurück zu bringen, als die sympathische Dame in Schwarz auf uns zutritt und uns höflichst begrüsst. Vorbei an den modernen Hochtischen und säuberlich gefalteten, weissen Servietten, werden wir zu unserem – zum Glück! – vorreservierten Tisch geleitet. Als ich die Speisekarte aufschlage, staune ich nicht schlecht: vom asiatischen Kokos-Curry-Süppchen, über ein sensationelles Surf and Turf, bis zur Variation an köstlichen, kleinen Dessert-Schlemmereien, findet man auf dieser Karte offenbar nichts, was nicht noch zusätzlich mit einer gewissen Raffinesse angereichert wurde.
 
Zur Begrüssung wird dann erstmal ein vorzügliches Brötchen mit zweierlei Brotaufstrich serviert. Mit einem breiten Lächeln und zwei vollgestopften Hamsterbacken zerkaue ich also das, was man hierzulande noch ein Mutschli mit Konsistenz nennt. „Wenn das mal so weiter geht…“, flüstere ich meinem Vis-à-vis mit einer für unsere Verhältnisse leicht überheblichen Miene zu. Aber tatsächlich: Das darauf folgende Amuse-Bouche hat mittlerweile Kurs auf unseren Tisch aufgenommen. Und unsere anfängliche Skepsis weicht nach dem ersten Löffel des grünen Crème-Süppchens im Gläschen allmählich aus unseren Gesichtern. Vortrefflich! Was wohl der Hauptgang bringen mag?
 
Von allen falschen Vorurteilen bereits gelöst, rutschen wir nun also beide schon ungeduldig auf unseren Stühlen hin und her. Wartend, lechzend, aus beiden Mundwinkeln sabbernd. Drei Köche stehen in der Küche und schwingen für mich die Keulen. Und ich frage mich: „Wann hatte ich wohl das letzte Mal das Vergnügen von (m)einem Privatkoch dermassen verwöhnt zu werden?“ Und als würde meine hochgezogene linke Augenbraue meiner – manchmal mehr, manchmal etwas weniger -  besseren Hälfte meine Gedanken übersetzen, würgt dieser auch schon schuldig den steckengebliebenen Bissen Brot herunter.
 
Da! In diesem Moment nähert sich unsere Gastgeberin mit dem nächsten Gang. Hervorheben möchte ich die ehrlich gemeinte Nachfrage nach unserer Zufriedenheit zu jedem einzelnen Gang! Lehrbuchmässig nach dem Motto: „Warte, luege, lose, loufe", darf man hier noch von wahrem Interesse am Gast und einer gehörigen Portion Anstand reden, während in anderen mir bekannten Restaurants, einem der Teller mit einer beiläufigen „na, wie war’s?“-Floskel unter der Nase weggezogen wird.
 
Das Hinterteil des zartgekochten Schalentiers steht wie ein gesetztes Segel in meinem Teller. Hier ist auch wirklich alles dem Thema Wasser gewidmet. Von den atemberaubenden Riesengemälden an den Wänden, über die fliessende Chill-Out-Musik in Hintergrund, bis hin zu den Ohrenstecker der Bedienung. Das Element Wasser wird in sämtlichen Kontaktpunkten des Restaurants zusätzlich nur noch veredelt. Nicht einmal ganz so edel sind dagegen die Preise. Setzte man ins Verhältnis, was man dafür doch für Portionen erhält.
 
Unsere innerlichen Freudensprünge über die vorzüglichen Fleisch/Fisch-Gerichte sind immer noch in vollem Gange. Und als dann der Dessert-Teller noch mit einem mit Engelsgeduld – wie ich sie mir kaum vorzustellen vermag – beschriebenem „Happy Birthday“ daher kommt, haut es mich nun gänzlich von den Socken. Mit soviel Aufmerksamkeit während eines ganzen Abends scheine ich massiv überfordert. Hier fühlte man sich wahrhaftig „zu Gast“. Dieser Restaurant-Besuch hätte an Privatsphäre, Gastfreundschaft und Essensqualität keinen Punkt mehr holen können. 
 
Mit gut geschätzten zwei gewonnen Centimetern an Stolz trete ich erhobenen Hauptes aus dieser Tür. Anerkennend, eine wahre Perle im Aqua gefunden zu haben.

Update: mittlerweile dauerhaft geschlossen



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